Sie haben keinen Stress? Na gut, kein Problem, das haben wir gleich: Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Auto auf dem Weg zu einem wichtigen Termin. Sie sind spät dran und vor Ihnen tuckert auf der Landstraße ein Traktor. Sie sind Teil einer langen Kolonne, die der Landwirt seelenruhig hinter sich herschleppt, Sie können nicht überholen. Sie schauen auf die Uhr. Tick tack.
Na, können Sie ihn erahnen, den Stress?
Wie Sie Ihren Stress beliebig erhöhen können
Es kommt noch schlimmer: Es wird kurz zweispurig, die Kolonne überholt den Traktor, der Stau löst sich auf. Sie atmen auf und kalkulieren die restliche Fahrzeit: Es könnte gerade noch klappen! Sorgen macht Ihnen, dass die Tankanzeige gegen null geht – wegen des Zeitdrucks haben Sie nicht gewagt, noch zu tanken, aber es müsste reichen und dann können Sie ja nach dem Termin in Ruhe zur Tankstelle.
Sie reizen die Geschwindigkeitsbegrenzung aus und wischen sich den Schweißfilm von der Stirn. Die Straße macht eine Biegung und … vor Ihnen ein neuer Stau. Baustelle. Einspurig. Ampelschaltung. Sie machen den Motor aus, um Sprit zu sparen. Vorne wird es grün, die Kolonne setzt sich in Bewegung, Sie wollen den Motor starten … der Anlasser orgelt, aber der Motor geht nicht an. Ist der Tank leer? Der Fahrer hinter Ihnen hupt.
So, spätestens jetzt haben Sie einen kräftigen Blutdruck, die Atmung geht schnell, Sie schwitzen, Ihr Blick ist gehetzt. Mit einem Wort: Stress!!!
Was Sie sich mit dem ganzen Stress antun
Wenn Sie gestresst sind, schüttet Ihr Körper einen Hormoncocktail aus, der Ihren Organismus kurzfristig auf Hochleistung trimmt: So können Sie ideal flüchten oder kämpfen – ganz getreu Ihrer Urinstinkte.
Allerdings hat dieser Zustand auch Nachteile: Sie können so nicht klar denken. Die Hormone verpuffen auch völlig nutzlos: Eingesperrt in der Fahrerkabine Ihres Autos können Sie ja weder kämpfen noch flüchten, Sie können nur fluchen, schreien und vielleicht aufs Lenkrad trommeln. Oder aggressiv fahren. Und genau das tun viele Autofahrer. Leider ist das sehr gefährlich, für Sie und für andere.
Es gibt weitere Nachteile: Weil Sie den Hormoncocktail nur mit erheblicher körperlicher Aktivität wieder abbauen können, verbleibt der Stress buchstäblich zu lange in Ihrer Blutbahn und richtet dort auf Dauer Schäden an.
Die Frage ist also: Wie könnten Sie mit Stress besser umgehen?
Obdachlos. Parkbank. Tod durch Erfrieren …
Nein, das ist eine total schlechte Frage! Die viel bessere Frage lautet: Warum haben Sie überhaupt Stress?
Und noch eine Stufe besser gefragt: Was ist Stress eigentlich?
Fangen wir dazu nochmal von vorne an: Wer hat gesagt, dass der Termin wichtig ist? Sie selbst. Wer hat gesagt, dass Sie zu diesem wichtigen Termin nicht zu spät kommen dürfen? Sie selbst. Wer ist zu spät losgefahren? Sie selbst. Wer hat die Pünktlichkeit gegenüber dem rechtzeitigen Tanken priorisiert? Sie selbst.
Aber was ist in Wirklichkeit passiert?
In Wirklichkeit haben Sie sich nur Vorstellungen gemacht, was passieren würde, wenn Sie zu spät zu diesem Termin kommen. Und alles Weitere waren nur Folgen dieser Vorstellung in Ihrem Kopf.
Sie hatten sich in Ihrer Vorstellung ausgemalt, wie der Kunde beleidigt sein würde, weil Sie zu spät kommen, und Ihnen deshalb den Auftrag nicht geben würde. Dass Ihnen deshalb der Chef den Kopf abreißen würde. Dass Sie dann Ihre Karriere knicken könnten. Dass Sie dann das halb abbezahlte Haus der Bank abtreten müssten. Scheidung. Kinder nie mehr wiedersehen. Alkohol. Obdachlos. Parkbank. Tod durch Erfrieren …
Das Leben ist herrlich – wenn Sie das wollen
Die gute Nachricht: Kein Mensch zwingt Sie, sich solche Vorstellungen zu machen. Ich schlage Ihnen mal eine andere vor: Sie schauen vor der Abreise auf die Uhr und merken, dass es knapp wird. Sie stellen sich vor, dass Sie womöglich ein paar Minuten zu spät kommen. Weil Sie vom Auto aus angerufen haben, weiß Ihr Kunde das schon. Sie stellen sich vor, dass Ihr Kunde durch die gewonnen fünf Minuten Pause in Ruhe frische Luft schnappt und einen Kaffee trinkt und darum besonders ausgeruht und gut gelaunt ist bei Ihrem Eintreffen. Sie stellen sich vor, das Gespräch verläuft entspannt und erfolgreich, Sie gewinnen den Auftrag.
Es bleibt dabei: Alles Weitere ist eine Folge Ihrer Vorstellung. Sie tanken erstmal, denn es ist ja kein großes Ding, ob Sie fünf oder zehn Minuten zu spät kommen. Hinter dem Traktor nutzen Sie die Gelegenheit, um bei Ihrem Kunden anzurufen und die Verspätung anzukündigen. Dabei machen Sie netten Smalltalk mit der Sekretärin. An der Baustelle holen Sie während der Rotphase die Verkaufsunterlagen aus dem Koffer und prägen sich nochmal die wichtigsten Fakten ein. Sie kommen an – in Wahrheit nur drei Minuten zu spät – und gehen entspannt und gut gelaunt auf den Kunden zu.
Er sagt: „Oh, gut, dass Sie nicht überpünktlich sind. So hatte ich gerade noch Zeit, mir Ihr Angebot nochmal in Ruhe anzusehen. Das ist ja hochinteressant …“
Mein Tipp: Wenn Sie sich mal Stress gemacht haben, atmen Sie einmal kurz durch und gehen Sie dann zuerst den Annahmen hinter Ihrem Stress auf den Grund. Sie werden schnell feststellen, wie unpraktisch und unnötig Ihre Annahmen sind. Machen Sie sich neue, bessere Annahmen.
Und genießen Sie dann entspannt, wie herrlich das Leben tatsächlich ist.