weniger müssen raus aus dem Stress

»Hab’ heute keine Zeit, bin voll im Stress«, sagt sie und ihre Geste mit Daumen am Ohr und kleinem Finger am Mund deutet das Versprechen an, dass sie mich anrufen wird. Ich winke ab und grinse in mich hinein. Das Spielchen treiben wir schon zwei Jahre so.

Das Problem mit der Unverbindlichkeit

Das ist leider nur ein Beispiel für gewisse Standardlügen, die Sie mit Sicherheit auch schon angewendet haben, um ein Bild von Nettigkeit aufrechtzuerhalten – oder über die Sie sich als Empfänger geärgert haben:

»Ich melde mich« können Sie zum Beispiel komplettieren mit: » … aber warte nicht drauf.«

»Das kriegen wir schon hin« bedeutet eigentlich: «DU wirst das schon hinkriegen.«

Und mit »Ist nicht vergessen« sagt Ihnen Ihr Gesprächspartner: »Sobald wir aufgelegt haben, werde ich nicht mehr dran denken.«

Ja, gesagt wird viel, aber die Bedeutung ist häufig eine andere. Nur: Anders, als Sie jetzt denken mögen, will ich das niemandem ankreiden – es ist nämlich keine böse Absicht.

In Wirklichkeit wollen viele ihre Versprechen einhalten. Sie wollen anrufen, sich kümmern, Kontakt halten und helfen. Aber sie haben Angst vor einer klaren, festen Zusage wie etwa: »Ich rufe dich morgen um vier an.« Oder: »Ich komme Mittwochabend und helfe dir.« Das Leben der meisten Menschen ist nämlich ein einziges großes MUSS. Sie müssen tagein, tagaus unglaublich viele Dinge tun und sind damit schon völlig überfordert und im Dauerstress. Da setzt sich doch keiner freiwillig ein Muss obendrauf. Das kann ich verstehen.

Aus den Fesseln des Müssens befreien

Eines daran ist für mich jedoch unverständlich: Die Menschen leiden unter dem großen Druck, unter dem sie stehen. Sie merken, dass sie gerne etwas anders machen wollen – den alten Kumpel mal wieder anrufen, wie sie es schon lange versprochen haben, beispielsweise. Und Sie tun es doch nicht. Einerseits weil das Hirn in der Überforderung die vermeintlich unwichtigeren Dinge aussortiert und im Stress keine neuen Gedanken zulässt. Andererseits weil der Sekundärgewinn, den Sie aus dem »Müssen« ziehen, anscheinend größer ist als aus den Tätigkeiten, die Sie Ihren Mitmenschen versprechen.

Aber keine Sorge: Sie sind dieser unangenehmen Situation nicht hilflos ausgeliefert. Sie benötigen lediglich zwei Dinge, um sie zu ändern: Sie brauchen erstens die Erkenntnis, dass ein Großteil Ihres Müssens gar nicht unbedingt notwendig ist (lesen Sie dazu meinen Blogbeitrag zur Überlebenslinie).

Zweitens – und das ist besonders wichtig – brauchen Sie ein Bewusstsein dafür, was Sie wirklich begeistert, was Ihnen einen großen Sekundärgewinn verspricht, was Sie wirklich tun wollen. Dass die Zeit mit der Familie beispielsweise mehr Begeisterung in Ihnen hervorruft als die Beförderung, die Sie sich von Ihren Überstunden versprechen – oder eben andersrum. Und dann halten Sich sich bei Ihren Entscheidungen daran.

Wenn Sie nämlich feststellen, dass Sie viele Dinge gar nicht müssen und Sie die anderen Dinge tatsächlich tun wollen, dann können Sie fortan aufrichtiger sprechen und verbindlicher handeln – weil Sie nur noch Versprechen abgeben, die Sie gerne erfüllen.

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